Wann will sich die politische Klasse Deutschlands den demographischen Realitäten stellen? Gerade hat der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums die Rente mit 68 gefordert und eine Regelbindung des Ruhestandsalters an das Lebensalter vorgeschlagen. Das Institut der Deutschen Wirtschaft hält gar die Rente mit 70 ab 2052 für erforderlich. In der Diskussion sind ferner Vorschläge, flexible Ruhestandseintritte leichter zu ermöglichen. Im Wahlkampfmodus haben alle zuständigen Politiker und betroffene Interessensverbände solche Vorschläge reflexartig abgelehnt.
Demographie hat einen ganz langen Atem. Bereits vor 36 Jahren wurden bei der Gründung des Ausschusses für Bevölkerungsökonomie beim Verein für Socialpolitik ihre Herausforderungen für die Rentenpolitk ab den mittleren zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts diskutiert. Die aufziehenden Probleme sind also keinesfalls neu oder überraschend, sie wurden nur lange Zeit schlicht ignoriert; aussitzen lassen sie sich aber nicht. Bereits 2005 hatte ich in der Mitte des seinerzeitigen Bundestagswahlkampfes (zur Erinnerung: Angela Merkel wurde im Herbst danach zum ersten Mal Kanzlerin) als seinerzeitiger Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) die Rente mit 70 in einem Meinungsbeitrag für die Süddeutsche Zeitung als langfristig notwendig bezeichnet. Auch damals war die Ablehnung einhellig, die Anfeindungen riesengroß. Das hinderte die nach der Wahl gebildete Große Koalition auf Vorschlag des Arbeits- und Sozialministers Franz Müntefering gar nicht, zumindest die Rente mit 67 stufenweise einzuführen. Seitdem haben sich alle Bundesregierungen darum gedrückt, eine nachhaltige Lösung anzustreben, auch wenn sich EU – Kommission und Bundesbank wie weite Teile der Wissenschaft regelmäßig mit Nachdruck für eine deutliche Lebensarbeitszeitverlängerung ausgesprochen hatten.
Natürlich gibt es Alternativen: Deutschland kann einfach mehr Kinder kriegen oder Migranten ins Land lassen. Oder die Rente wird aus Steuermitteln massiv quersubventioniert (der Sozialetat des Bundeshaushaltes könnte schon bald auf über 50% ansteigen), die Rentenbeiträge könnten drastisch erhöht oder die Leistungen einfach eingeschränkt (Altersarmut in Sicht) werden. Vielleicht rennen uns auch die jungen Leistungsträger weg, wenn sie sehen, dass sie weit weniger zurückbekommen, als sie ins System einzahlen. Da ist es angesichts des rapiden Anstiegs der (gesunden) Lebenszeit nur fair und human, die Option längere Lebensarbeitszeit zu ziehen. Die jetzige Debatte ist bitter notwendig. (KFZ)
Klaus F. Zimmermann, Wirtschaftsprofessor und Präsident der Global Labor Organization (GLO), äußert hier seine Meinung.
Referenz
Klaus F. Zimmermann und Holger Bonin: Arbeiten bis siebzig, Süddeutsche Zeitung, 18. August 2005, S. 18.
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